Der Wahlkampf zur Bundestagswahl war von einem Paradoxon geprägt: Die Erwartung an Parteien als rationale Akteure im Wahlkampf ist, dass sie zu relevanten Themen ihre Konzepte und Erfolge darstellen. Doch obwohl die Zuwanderung eine erhebliche Rolle in der öffentlichen Diskussion spielte und die Regierung seit 2015 viele Entscheidungen der Migrationskontrolle getroffen hatte, wurde dies im Wahlkampf der Regierungsparteien nicht dargestellt. Der Wahlkampf war von einem Syndrom geprägt, das wir fame avoidance nennen: Die Regierungsparteien rühmten sich nicht der von ihnen auf den Weg gebrachten Gesetzesänderungen und der erzielten Steuerungserfolge. Die Strategien der Akteure mögen jeweils für sich rekonstruierbar sein, doch führt fame avoidance zu einem kollektiv problematischen Ergebnis. Die entstandene Kluft zwischen Entscheidungs- und Darstellungspolitik lässt politisch weiten Raum für Vorwürfe, die Regierung sei blind gegenüber Problemlagen, nicht handlungsbereit und handlungsfähig sowie mangelhaft responsiv gegenüber den Wählerinnen und Wählern. Das Muster der fame avoidance schwächt somit das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die politischen Institutionen und deren Problemlösungskapazitäten. Eine Kongruenz von Entscheidungs- und Darstellungspolitik herbeizuführen, kann zum Rückgewinn verloren gegangenen politischen Vertrauens beitragen. Trotz einer ungünstigen Ausgangslage steht der neuen Koalition die Möglichkeit offen, eine öffentliche Debatte zu initiieren. Dies kann Teil eines „Masterplans Migration“ sein oder hiervon entkoppelt erfolgen. Insbesondere ein Einwanderungsgesetz kann die verloren gegangene Balance von Darstellungs- und Entscheidungspolitik wiederherstellen.