Kooperation

21. Oktober 2025

Lea Ypi: Freiheit, Würde und historische Ungerechtigkeit – Die Geschichte meiner albanischen Familie

Am 21.10.25 fand im Rahmen der Henry Arnhold Dresden Summer School 2025 und in Kooperation mit  dem Mercatorforum Migration und Demokratie (MIDEM) und dem Deutschen Hygiene-Museum Dresden ein Vortragsabend mit der Philosophin und Autorin Lea Ypi statt. Im Mittelpunkt stand ihr neues Buch Aufrecht, in dem sie anhand der Lebensgeschichte ihrer Großmutter Leman Ypi zentrale Fragen nach Freiheit, Würde und historischer Gerechtigkeit verhandelt – Themen, die den gesamten Abend bestimmten.

Zu Beginn zitierte Ypi Friedrich Schiller aus dessen Gedicht Die Götter Griechenlands: „Schöne Welt, wo bist du?“ Er beschreibt eine Welt, in der die Götter geflohen sind und die Menschen in Entfremdung leben – eine Welt, die unserer heutigen nicht unähnlich ist: zerrissen, von Gewalt und Glaubensverlust gezeichnet. Ypi griff dieses Motiv auf, um die Leitfrage ihres Buches zu formulieren. „Wo finden wir heute Würde und Versöhnung in einer zersplitterten, desillusionierten Welt?”

Von dieser philosophischen Perspektive aus nahm Lea Ypi das Publikum mit auf eine Reise in die Geschichte ihrer Familie – eine Reise von der untergegangenen Welt der osmanischen Aristokratie über die politischen Umbrüche der Balkanstaaten bis ins kommunistische Albanien. Die Spurensuche nach ihrer Großmutter wird so zu einer Reflexion über die Bedingungen von Freiheit im Angesicht historischer Katastrophen.

Wie schon in ihrem Bestseller Frei untersucht Ypi auch in Aufrecht, was es bedeutet, in unfreien Systemen innerlich frei zu bleiben. Freiheit erscheint dabei nicht als Abwesenheit von Zwang, sondern als moralische Haltung: als Beharren auf Menschlichkeit und Selbstachtung inmitten von Willkür und Unrecht. Ihre Großmutter Leman verkörpert diese Form der Freiheit, indem sie auch in Zeiten politischer Verfolgung und sozialer Ächtung ihre Würde bewahrt – ein Beispiel für die „erlösende Kraft der Kunst“, von der Schiller sprach, verstanden als die Fähigkeit, Gefühl und moralisches Handeln miteinander zu versöhnen.

Im anschließenden Gespräch mit Prof. Dr. Hans Vorländer, der den Abend eröffnete und moderierte, wurden diese Gedanken weiter vertieft. Diskutiert wurde, wie Freiheit und Würde in Zeiten gesellschaftlicher Spaltung neu gedacht werden können, und wie das literarische Erzählen dazu beiträgt, historische Ungerechtigkeit sichtbar zu machen und zu überwinden. Ypis Verbindung von Erinnerung, Fiktion und Archivrecherche eröffnete dabei neue Perspektiven auf die Frage, wie Geschichte erzählt – und wie sie befreit werden kann.

Zum Abschluss des Abends wurde die Diskussion für das zahlreich erschienene Publikum geöffnet. In einer lebhaften Fragerunde beantworteten Lea Ypi und Hans Vorländer Fragen zu politischer Verantwortung, der Kraft der Kunst und der Bedeutung von Freiheit in der Gegenwart. Dabei zeigte sich, wie sehr Ypis Gedanken über die „verlorene schöne Welt“ und das Suchen nach innerer Freiheit die Zuhörerinnen und Zuhörer auch persönlich berührten.

Die Veranstaltung fand in englischer und deutscher Sprache mit Simultanübersetzung statt.

Fotos: © Klaus Gigga, © Anja Schneider, DHMD

Videomitschnitt, 21.10.2025

Lea Leman Ypi, geboren 1979 in Tirana, Albanien, ist Professorin für Politische Theorie an der London School of Economics and Political Science, Mitglied der British Academy und der Academia Europaea sowie Permanent Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Sie hat einen Abschluss in Philosophie und Literatur von der Universität Rom La Sapienza und hat unter anderem in Paris, Oxford, Stanford, Berlin und Frankfurt am Main geforscht und gelehrt. Sie ist die Autorin von «Global Justice and Avant-Garde Political Agency», «The Meaning of Partisanship» (mit Jonathan White), «The Architectonic of Reason» und «Frei. Erwachsenwerden am Ende der Geschichte», das in mehr als 35 Sprachen vorliegt und den renommierten Ondaatje Prize sowie den Slightly Foxed First Biography Prize gewann.

19:00 – 21:00 Uhr, Deutsches Hygiene-Museum Dresden

Einführung und Moderation: Prof. Dr. Hans Vorländer

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